Everest – nur der Wille zählt!

Everest - Nur der Wille zählt(von Herbert Hellmuth) „Papa, Papa, was soll denn dieser Krach? Da kann ja niemand schlafen!“ ruft meine Tochter durchs Haus. „Hm“ denke ich mir, „ich bringe da ja auch kein Auge zu“. Also, Ohrenstöpsel müssen her und zwar schnell, sonst wird diese erste Nacht zur Farce. Dabei war ich so stolz auf meine neue Errungenschaft.

Nachdem ich über sechs Jahre träumen durfte, stand nun der große Abschluss kurz bevor. Begonnen hatte alles auf einem Segeltörn in der heißen Sonne Kroatiens. Bei sanftem Wellenschlag lag ich in der Sonne und sog eines von vielen Büchern über den Everest auf. Aus dem Lesen heraus ist dieser Berg zu einem Traum, einer Sucht, einer Droge geworden. Seit sechs Jahren verging nicht ein Tag, an dem ich nicht an ihn gedacht habe. Was für Erlebnisse hatte ich während dieser Jahre, – vom Workaholic zum Gipfelstürmer, ja klein habe ich angefangen, erst 4 km gehen, dann laufen und später zum ersten Mal 5 km joggen. Noch rauchend ging es bis zum Halbmarathon. Dann wechselte ich die Droge, vom Rauchen zur Bergsucht, unaufhaltsam vorwärts und höher. Gletschererfahrung am Dachstein, Großvenediger, Großklockner, Mont Blanc (zwei erfolglose Versuche), Kala Patthar, Island Peak, Aconcagua und dann der erste 8.000er: Manaslu, der achthöchste der Welt überhaupt. Dazwischen joggen, schwimmen, Bergläufe und sonstige Läufe, schlafen auf der Dachterrasse bei -20 Grad, Trekking im Khumbu – der erste Blick auf das Monster.

Schon lange war dies kein Hobby mehr – Passion? Sucht!  Es ging nicht mehr anders, ich musste weiter. Sechs Jahre der Vorbereitung, des Träumens … Es war ganz am Anfang, eine der ersten alpinen Erfahrungen sammelnd, das erste Mal in einem Zelt auf einem Gletscher schlafend, da fragte der Bergführer abends in die gemütliche Runde, was denn jeder so für Träume oder Wünsche habe. Von einem schönen Wochenende im Eis bis zum Aconcagua war alles dabei. Ich hätte es eigentlich wissen müssen: Schallendes Gelächter schlug mir entgegen, als ich meinte, dass ich einen Traum habe, der „Everest“ heiße. Das war das erste und das letzte Mal, dass ich jemandem, außer meiner Frau, von meinem Traum erzählte. Jetzt, wo es vorbei ist, kann ich darüber schmunzeln – damals konnte ich es nicht.

Everest - Nur der Wille zähltIm Keller unseres Hauses habe ich ein Zelt aufgebaut, dazu einen Generator. Wer hoch hinaus will, muss sich auch bestens vorbereiten. Vier Wochen vor dem Abflug nach Katmandu begann ich im Hypoxie Zelt zu schlafen. Die Vorbereitung des Blut-Sauerstoff Kreislaufes auf 3.500m kann vorangetrieben werden so lange man noch zu Hause ist und der Energieverlust in den ersten Tagen am Berg wird gedämpft. Wir leben nun mal nahe am Sea-Level und nicht wie z. B. mein späterer mexikanischer Bergfreund, Javier, dessen Wohnhaus auf 3.000m Höhe steht. Also ab ins Zelt und Stöpsel rein. Nach etwa einer Stunde wache ich völlig hyperventilierend auf, reiße den Reißverschluss auf und ziehe mir „normale“ Kellerluft rein. Anfängerfehler: zu hoch justiert, also Regler nach unten und von Neuem beginnen. Zwischenzeitlich habe ich den Generator in das Nachbarzimmer gebracht, ein Loch durch die Wand gebohrt, damit die Tür schließt und das Schlauchende in mehrere Decken gehüllt, damit das Zischen und Atmen des Generators leiser und halbwegs erträglich wird. Müdigkeit wird ab dieser Nacht nun groß geschrieben, der Körper beginnt zu arbeiten wie bei einer Krankheit.

Everest - Nur der Wille zähltDie letzten Tage zu Hause vergehen wie im Flug und die Nervosität steigt ins Unerträgliche. Als dann beim Abschied am Flughafen die Tränen fließen und ich in die Schluchten der Gänge und Dutyfree Shops eintauche, kommt so langsam Entspannung über mich und die Tour kann beginnen.

Vom heimischen Winter geht es ins 30 Grad heiße Kathmandu, und nach nur zwei Nächten hoch nach Lukla, auf 2.800m. Das 14-tägige Trekking beginnt wie für alle anderen Trekker auf dem Everest Basecamp Pfad, nur, dass wir nicht am Aussichtspunkt auf 5.300 m stehen bleiben, sondern nach wenigen Metern unser Lager (Basecamp) einrichten, das für die nächsten Wochen unsere Heimat sein wird. Nach etwa einer Woche im BC beginnt die erste von drei Rotationen.

Everest - Nur der Wille zählt1. Rotation: In sechs Tagen in verschiedenen Etappen geht es zweimal auf den Gipfel des 6.000m Lobuche und beim 2. Mal übernachten wir 2 Nächte auf dem Gipfel. Akklimatisieren nennt man diesen Wahnsinn, den man seinem Körper antut. Außerdem muss es eine Wohltat für die Pharmaindustrie sein, denn so viele Kopfschmerztabletten, wie ich an einem einzigen Tag vertilge, nehme ich sonst in mehreren Jahren nicht. Zusammen mit Javier, meinem mexikanischen Leidensgenossen, zähle ich wie im Countdown die Stunden bis zum Abstieg, bei 44 h beginnend. Nach sieben Tagen sind wir geschwächt zurück im Basecamp und ich frage mich, wie ich je weiter hoch kommen kann, wenn jetzt schon meine Kräfte am Ende sind. Unerträgliche Mittagshitze und glasklare Zitternächte wechseln sich ab. Nachdem alle ohne Zwischenfälle im BC angekommen sind, veranstaltet unser „Chef“ Russel Brice eine Party. Champus und Dosenbier gibt’s ohne Limit und die Stimmung der Truppe steigt wieder an.

Ausruhen und den Körper bei westlichem Essen wieder auf normales Niveau bringen ist in der Höhe zwar schwierig, aber die Anpassung gelingt und wird von Tag zu Tag besser. Wir sind bereits etwa einen Monat unterwegs und der Sportdrang lässt mich auf 5.300m eine Joggingrunde drehen. Vorbei an hechelnden und hustenden Trekkern lächle ich mich in den Tag.

Everest - Nur der Wille zähltDann auf zur 2. Rotation: Nun geht’s zum ersten Mal nachts durch den Eisbruch, Lawinen sieht und hört man und hofft einfach, dass sie neben einem runter gehen. Camp 1 passieren wir, da es hier zu gefährlich ist  und gehen weiter hinein ins brütend heiße Western Cwm (‚Kuhm’ gesprochen) auch bekannt als das Tal des Schweigens. Weil ich mal wieder wegen meiner Langsamkeit hinten dran hänge, kann ich die Hitze voll auskosten. Jeder Schritt dauert Minuten und obwohl das Camp 2 in Sichtweite ist. brauche ich noch 3 ½ Stunden bei etwa 30 Grad im reflektierenden Eis. Am Ende jeglicher Motivation und körperlicher Kraft hangle ich mich ins Camp 2 und will auf der Stelle nach Hause.

Drei Tage bleiben wir im Camp 2 und dann geht es auf nach Camp 3 in 7.350m Höhe, das wir ohne Sauerstoff über die steile blau geeiste Lhotse Flanke erklimmen. Erste Nacht in dieser Höhe auch wieder ohne Sauerstoff. Dank der Kopfschmerztabletten mache ich für wenige Minuten die Augen zu. Es ist eine kalte und zugige Nacht, etwa Minus 30 Grad. Am Morgen Abstieg mit eingefrorenen Fingern, die vergeblich nach dem Sicherungsseil greifen wollen, Ausrutscher auf festem blauen Blankeis, das Seil hängt in der Ellenbogenbeuge und ich rutsche gleichzeitig mit den Steigeisen voraus über die Lhoste Flanke. In zwei Tagesetappen hinunter ins Basecamp und auch diese (Tor-)Tour ist erfolgreich abgeschlossen,

Diesmal wird die Party noch ein bisschen größer, wir waren ja auch weiter oben.

Wir machen Party und am Berg sterben die Leute, komisch ist das schon. Vom Ersten erfahren wir, dass es einer der fleißigen Sherpas im Eisbruch war; abgerutscht, nicht richtig gesichert und schon war’s geschehen. Die Gletscherspalte, aus der er geborgen wurde, war 48 m tief. Weiter oben auf etwa 7200m ist ein anderer Sherpa beim Tragen der Last abgerutscht, ebenfalls schlecht gesichert und in der steilen vereisten Lhotse Flanke bis in den Tod gestürzt. Wir sind im Lager 3, als ich nachts Stimmengewirr der Sherpas von den Zelten nebenan höre; erst denke ich an deren harte Arbeit bereits früh am Morgen. – Zelte aufbauen und Sauerstoffflaschen schleppen. – aber später erfahren wir, dass sie mit einfachsten Mitteln um das Leben Ihres Kameraden gekämpft haben. Den Kampf gegen die Höhenkrankheit haben sie verloren. Per Helikopter wird seine im Schlafsack verpackte Leiche geborgen, nachdem die Kameraden ihn etwa 500m tief über die steile Flanke haben abrutschen lassen. Später am Berg verunglückt noch ein russischer Spitzenbergsteiger, weil er aus Langeweile während des Wartens auf das Wetterfenster sich in den Felswänden des Nuptse mit Freiklettern vergnügen wollte. Absturz etwa 200 m tief, ein Helikopter hat zwei Tage lang die Leichenteile gesucht. Solche Geschichten gibt es leider viele. Bei meinem Aufstieg, bei etwa 7.900m tragen sechs Bergsteiger, nein sie tragen nicht, sie schleppen erst mal sich selbst. Am Seil rutschen und zerren sie eine im Schlafsack verpackte Leiche über Eis und Geröll. Ich stelle mir vor, verletzt in solch einer Plastikrutsche geborgen zu werden, jeder Schlag aufs Geröll, jedes abgleiten mehrere Meter in die Tiefe und dann wieder abruptes Stoppen würde einen Lebenden zum Wahnsinn treiben und wahrscheinlich während der Bergung auch in den Tod. Meine Hochachtung den schwer arbeitenden Kameraden, die selbst in Lebensgefahr schweben und dies auf sich nehmen.

Trotzdem genießen wir unsere Party, denn in unserem Camp feiern alle Beteiligten, dass bislang niemand verletzt wurde und es auch sonst noch zu keinen größeren Zwischenfällen kam. Naja, bis auf die Lawine, bei der ein großer Teil unseres Teams im oberen Teil des Eisbruchs in den Morgenstunden überrascht wurde, und David, der ja nie einen Helm braucht. – nach drei erfolgreichen Everest Besteigungen glaubt man ihm fast – von Stein- und Eisbrocken am Bein verletzt wurde und wie es natürlich kommen musste, er hat schließlich auch ein Loch in dem Helm, den er letztlich doch aufgesetzt hatte.…..

Everest - Nur der Wille zähltDann kommt das Warten. Die Sherpas versichern bis zu Camp 4 auf knapp 8.000 m die Route, müssen aber wegen der kalten Winde abbrechen. Winde bei 50 km/h verursachen Temperaturen von -50 Grad und kälter. Nach Tagen von Auf- und Abstiegen schaffen sie es bis zum Balkon, dann zum Südgipfel und schließlich am 10.5 auch noch bis zum Hauptgipfel. Die Route für dieses Jahr ist eröffnet. Bis zum 29.5. bleib das Zeitfenster für alle Besteigungen. Jetzt muss nur noch das Wetter mitspielen. Unsere Expeditionsleitung Russel Brice ist der Meinung, der Wetterbericht sei noch zu schlecht. Er sollte Recht behalten. Die ersten Gipfelversuche scheitern oder die Summiter kommen mit Frostbeulen und erfrorenen Gliedmaßen zurück. Bis zu 100 Bergsteiger tummeln sich einen Tag und eine Nacht länger als nötig in der Todeszone von Camp 4 auf knapp 8.000m, weil sie einen Tag zu früh losgelaufen sind und auf den Gipfeltag warten müssen. Wegen der äußerst kraftraubenden Wartezeit brechen manche ab, andere schaffen zwar den Gipfel, sind aber auch schwer gezeichnet.

Wir warten bis zum 19.5. und starten dann zum Lager 2, ein Ruhetag und dann geht eswieder in die steile Lhotse Flanke zu Lager 3. Abends kommt ein müder und vor Entkräftung zitternder Sherpa von oben herunter, kurz vor Sonnenuntergang, er hat kein Funkgerät, keine Daunenkleidung und ist dehydriert. Jeder fragt sich, was er da verloren hat. Wir versorgen ihn mit Wasser und geben ihm ein leeres Zelt und einen Schlafsack. Wir sind sicher, dass wir ihm damit die Nacht und das Leben gerettet haben. Am nächsten Morgen geht es weiter auf der für uns zum ersten Male zu begehenden Route. Hinauf aufs gelbe Band, steil mit Fels durchsetzt; Steigeisen rutschen ab, hinfallen, am Fixseil baumeln und das alles mit der Leben spendenden Sauerstoffflasche im Gepäck. Nach dem Gelben Band kommt die Querung unterhalb von Lhotse Camp 4. Wir passieren die Zelte in dem Wissen, dass auch in einem dieser ein Bergsteiger liegt, dessen Helikopterrettung mangels guter Wetterbedingungen abgebrochen werden musste und er die Nacht nicht überlebt. Die Kräfte haben mich schon lange verlassen, nur der Wille ist noch da, der Geist folgt der Route, stundenlang träume ich von einem Burger mit kaltem Bier am Pool unseres Hotels in Katmandu. Immer wieder stolpere ich und denke schon lange ans Aufhören. Und dabei bin ich nicht mal in Camp 4. Am Nachmittag erreichen wir Camp 4 und Wind kommt auf. Alle sprechen von Müllbergen. Sauber ist es hier nicht, die großen Expeditionen zahlen ihren Sherpas viel Geld für das Heruntertragen des Mülls. Es sind vielmehr die Individualisten am Berg, die gezeichnet vom Gipfel oder Gipfelversuch nur noch ihr eigenes Leben retten und dabei Zelt, Kochutensilien und Müll einfach liegen lassen. Für mich heißt es jetzt ruhen und alles anziehen, was ich dabei habe, mehrere Lagen Unterwäsche und Fleece, Schuhe ausziehen, Schuhheizung einlegen, anziehen, Batterien wechseln usw. Das alles mit der Sauerstoffflasche an der Strippe. Stundenlang brauche ich zum Umziehen, die Anstrengung einen Schuh anzuziehen entspricht einem 10 km Lauf, es dauert auch genau so lange, eine knappe Stunde.

Everest - Nur der Wille zähltUm 21.00 Uhr bin ich fertig, um 23.00 Uhr wollen wir aufbrechen. Mitternacht wäre besser, aber von halb zwölf bis halb eins gehen die Sherpas aus religiöser Sicht nicht los. Dann besser früher als zu spät. Stundenlang höre ich aus den Nachbarzelten die buddhistischen Mantras, unaufhörlich wie auch schon in Lager zwei und drei beschwören die Sherpas alle Götter, den Berg und Weiteres für einen guten Auf- und Abstieg. Der Wind legt sich in der Dunkelheit und ich döse noch etwas, geschlafen habe ich seit zwei Nächten nicht mehr, aber dann geht’s los. Noch mal Batterien der Schuhheizung wechseln, neue Sauerstoffflasche und der Tag der Tage beginnt. Nachdem ich mir bereits an Manaslu zwei Zehen angefroren hatte, ist die Schuhheizung nun Pflicht und eine Wohltat.

Auch wenn mich schon vor dem Gipfeltag die Kräfte verlassen, so fühle ich mich absolut sicher. Eingebettet in ein professionelles Team bestehend aus erfahrenen Bergführern und Sherpas mit mehr als 50 Everestbesteigungen. Sidar Phurba Tashi war bereits 19x am Gipfel. Sie helfen, wo sie können und alleine die Begleitung unseres Team, bestehend aus acht Bergsteigern und drei Bergführern, ist beruhigend. Auch die Erfahrung, schon einmal eine Besteigung mit Sauerstoff gemacht zu haben, ist mir sehr hilfreich.

Everest - Nur der Wille zähltGipfeltag-Summit day 23.5.2013, können tue ich nicht, aber wollen schon noch ein bisschen – das bisschen wird auch schon weniger. Aufstieg am Fixseil; mit Sherpa Urken am Kurzseil stapfen wir in die Dunkelheit. Nach etwa einer Stunde geht’s in die steile Flanke Richtung Balkon und ich will wieder aufhören, ich kann nicht mehr, es geht nicht mehr, keine Puste trotz vier l reinsten, besten Sauerstoff in der Min. – es reicht trotzdem nicht. Für einen Schritt von 20 cm brauche ich vier Atemzüge. Dazwischen stütze ich mich auf die Knie, um nicht umzufallen. Urken zupft immer wieder am Seil, er lässt nicht locker, ohne ihn wäre ich schon lange umgekehrt, keine Energie, keine Kraft, kein Wille mehr. Und den habe ich jetzt auch verloren und das war immer noch das einzige, das mich weitergebracht hat. Es ist soweit, ich kann verstehen, warum sich zwei Tage vorher ein Gipfelbezwinger rd. 100m unterhalb des Gipfels in den Schnee gesetzt hat und nicht mehr aufgestanden ist. Die Überanstrengung ist so immens, dass man alles andere vergisst und nur noch ans Beenden denkt. Später beim Abstieg werden wir über seinen blauen Daunenanzug, der im Schnee eingeeist ist, stolpern. Er ist am Berg geblieben oder der Berg hat ihn behalten. Ich fange an die Schritte zu zählen, damit ich wenigstens etwas zu tun habe bei der Anstrengung und nicht ans Aufhören denke. Bis 200 geht’s, dann verzähle ich mich wieder und wieder und fange von vorne an, wie oft weiß ich nicht mehr. Auf dem Balkon halten wir einen kurzen Augenblick, Urken wechselt meine Sauerstoffflasche und trennt mich kurz von der Aufstiegsdroge. Mir verschnürt es die Kehle, ich atme wie beim Joggen und ersticke trotzdem (fast). Dann pfeift wieder die Flasche und der Sauerstoff strömt. Ich lebe wieder. Weiter geht’s in die Nacht, ich schaue auf und sehe eine unendliche Lichterkette vor mir, aber kein Ende. Aufhören, aufhören, langsam, Stop rufe ich durch die Sauerstoffmaske Urken zu. Er hört mich nicht,denn der kalte Wind trägt mein Rufen nur in die stockfinstere Nacht.

Wir erreichen den Südgipfel, wieder das gleiche Spiel, Sauerstoff weg und neue Flasche, aufatmen und weiter stolpern. Die Sonne kommt und ich stehe unterm Hillary Step. Jetzt, genau jetzt, weiß ich zum ersten Mal: Ich kann und werde es schaffen, mit Euphorie und dem letzten Adrenalin geht’s durch den stärker aufkommenden Wind Richtung Gipfel. Die Temperaturen fallen auf etwa -40°, die Trinkflasche im Daunenanzug gefriert und die Akkus der Photos versagen. Trotzdem werden ein paar Gipfelfotos gelingen. Die Aussicht ist zwar atemberaubend aber das ist die Höhe auch.

Everest - Nur der Wille zählt

Oben – geschafft, der höchste Berg der Welt liegt unter mir. Viele Jahre träumen, planen und Vorbereitungen haben ein Ende, einen Höhepunkt und einen Abschluss. Aus vorbei und abgehakt.

Es ist so scheißkalt (sorry, kälter als kalt), dass ich nur noch runter will.

Everest - Nur der Wille zähltBeim Abstieg kommt die Sonne, es wird wärmer. Erst jetzt merke ich so langsam, dass ich es geschafft habe. Glücksgefühl stellt sich ein. Der Abstieg gleicht eher einem Stolpern als einem Laufen. Mehrfach falle ich über meine eigenen Füße und Steigeisen, der Daunenanzug hat eh schon ein Loch am Knie und die Daunen fliegen wie bei Frau Holle hinter mir her. Feinste Gänsedaunen, die mich wärmen sollten. Abstieg am Ende der Kräfte. – nein, das Ende hatte ich schon längst hinter mir, warum ich überhaupt noch gehen kann, ist mir selbst ein Rätsel. Angekommen im Camp 4 trinke ich erst mal zwei Liter, dann heißt es Rucksack zusammenpacken und weiter nach unten. Nun geht’s ohne zu denken nach bergab, Schritt für Schritt, nach jedem dritten Schritt ein Stolperer. Schon lange ist es egal, dass die Steigeisen bei jedem Fehltritt die mit Kevlar besetzten Boots aufreißen. Ein Körper-ein Schmerz. Lager 3 ist bereits von unseren Sherpas geräumt also geht’s weiter zu Lager 2, wo ich am Nachmittag eintreffe. Völlig verausgabt bin ich nicht mehr in der Lage mich auszuziehen, falle auf den Boden und werde mit Getränken versorgt. Dann esse und ruhe ich etwas, denn in der Nacht geht’s weiter zum Basecamp. Auch wieder in den frühen Morgenstunden, um den Eisbruch möglichst vor dem Morgen zu durchqueren. Alles geht nur noch langsam und träge und im Eisbruch falle ich mehrmals über das Sicherungsseil, über meine eigenen Füße und über Eisschollen. Nach viereinhalb Tagen Aufstieg und eineinhalb Tagen Abstieg erreiche ich das Basecamp, weinend vor Freude und Erschöpfung.

Schnell weg hier, ist der einzige Gedanke den alle Rückkehrer noch haben. Für drei bis vier Tage Trekking aus dem inzwischen frühlingshaft gewordenen Khumbu Tal heraus habe ich keine Kraft mehr in den Beinen und auch keine Nerven mehr. Wir beschließen einen Helikopter nach Kathmandu zu chartern, der jedoch wegen schlechter Sicht nicht kommt. Ich habe das Warten satt, nach zwei Monaten in Fels und Eis will ich endlich meinen Burger. Mein Flug nach Hause ist bereits umgebucht, nur der Heli fehlt noch. In buchstäblich letzter Minute taucht dieser im Nebel endlich auf und wir nehmen mit zwei Unterbrechungen und Zwischenlandungen wegen Wetterkapriolen unseren Weg nach Hause auf. In Kathmandu habe ich nur wenige Stunden, um Geschenke kaufen, Gepäck aufzuteilen und zu verstauen – schon muß ich wieder zum Flughafen. Es bleibt nicht mal Zeit für den Burger. Schnell nach Frankfurt – meine Familie erwartet mich. Tränenüberströmt wanken wir alle zusammen zum Auto und die letzten km nach Hause schaffen wir auch noch gut.

Der Beweis vom Gipfeltag, aufgezeichnet mit einer Forerunner 210:
(Tipp: Unter “Karte” auf “Satellit” umstellen)

Everest - Nur der Wille zählt

Ein ganz großes Danke an meine Familie, dass ich das erleben durfte! Bei den letzten Aufstiegen zum Dach der Welt habe ich mir geschworen: Nie wieder!

Mai 2013, als 61. Deutscher am Gipfel des Mount Everest über die Südroute von Nepal aus.

 

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