Nachdem ich über sechs Jahre träumen durfte, stand nun der große Abschluss kurz bevor. Begonnen hatte alles auf einem Segeltörn in der heißen Sonne Kroatiens. Bei sanftem Wellenschlag lag ich in der Sonne und sog eines von vielen Büchern über den Everest auf. Aus dem Lesen heraus ist dieser Berg zu einem Traum, einer Sucht, einer Droge geworden. Seit sechs Jahren verging nicht ein Tag, an dem ich nicht an ihn gedacht habe. Was für Erlebnisse hatte ich während dieser Jahre, – vom Workaholic zum Gipfelstürmer, ja klein habe ich angefangen, erst 4 km gehen, dann laufen und später zum ersten Mal 5 km joggen. Noch rauchend ging es bis zum Halbmarathon. Dann wechselte ich die Droge, vom Rauchen zur Bergsucht, unaufhaltsam vorwärts und höher. Gletschererfahrung am Dachstein, Großvenediger, Großklockner, Mont Blanc (zwei erfolglose Versuche), Kala Patthar, Island Peak, Aconcagua und dann der erste 8.000er: Manaslu, der achthöchste der Welt überhaupt. Dazwischen joggen, schwimmen, Bergläufe und sonstige Läufe, schlafen auf der Dachterrasse bei -20 Grad, Trekking im Khumbu – der erste Blick auf das Monster.
Schon lange war dies kein Hobby mehr – Passion? Sucht! Es ging nicht mehr anders, ich musste weiter. Sechs Jahre der Vorbereitung, des Träumens … Es war ganz am Anfang, eine der ersten alpinen Erfahrungen sammelnd, das erste Mal in einem Zelt auf einem Gletscher schlafend, da fragte der Bergführer abends in die gemütliche Runde, was denn jeder so für Träume oder Wünsche habe. Von einem schönen Wochenende im Eis bis zum Aconcagua war alles dabei. Ich hätte es eigentlich wissen müssen: Schallendes Gelächter schlug mir entgegen, als ich meinte, dass ich einen Traum habe, der „Everest“ heiße. Das war das erste und das letzte Mal, dass ich jemandem, außer meiner Frau, von meinem Traum erzählte. Jetzt, wo es vorbei ist, kann ich darüber schmunzeln – damals konnte ich es nicht.
Vom heimischen Winter geht es ins 30 Grad heiße Kathmandu, und nach nur zwei Nächten hoch nach Lukla, auf 2.800m. Das 14-tägige Trekking beginnt wie für alle anderen Trekker auf dem Everest Basecamp Pfad, nur, dass wir nicht am Aussichtspunkt auf 5.300 m stehen bleiben, sondern nach wenigen Metern unser Lager (Basecamp) einrichten, das für die nächsten Wochen unsere Heimat sein wird. Nach etwa einer Woche im BC beginnt die erste von drei Rotationen.
Ausruhen und den Körper bei westlichem Essen wieder auf normales Niveau bringen ist in der Höhe zwar schwierig, aber die Anpassung gelingt und wird von Tag zu Tag besser. Wir sind bereits etwa einen Monat unterwegs und der Sportdrang lässt mich auf 5.300m eine Joggingrunde drehen. Vorbei an hechelnden und hustenden Trekkern lächle ich mich in den Tag.
Drei Tage bleiben wir im Camp 2 und dann geht es auf nach Camp 3 in 7.350m Höhe, das wir ohne Sauerstoff über die steile blau geeiste Lhotse Flanke erklimmen. Erste Nacht in dieser Höhe auch wieder ohne Sauerstoff. Dank der Kopfschmerztabletten mache ich für wenige Minuten die Augen zu. Es ist eine kalte und zugige Nacht, etwa Minus 30 Grad. Am Morgen Abstieg mit eingefrorenen Fingern, die vergeblich nach dem Sicherungsseil greifen wollen, Ausrutscher auf festem blauen Blankeis, das Seil hängt in der Ellenbogenbeuge und ich rutsche gleichzeitig mit den Steigeisen voraus über die Lhoste Flanke. In zwei Tagesetappen hinunter ins Basecamp und auch diese (Tor-)Tour ist erfolgreich abgeschlossen,
Diesmal wird die Party noch ein bisschen größer, wir waren ja auch weiter oben.
Wir machen Party und am Berg sterben die Leute, komisch ist das schon. Vom Ersten erfahren wir, dass es einer der fleißigen Sherpas im Eisbruch war; abgerutscht, nicht richtig gesichert und schon war’s geschehen. Die Gletscherspalte, aus der er geborgen wurde, war 48 m tief. Weiter oben auf etwa 7200m ist ein anderer Sherpa beim Tragen der Last abgerutscht, ebenfalls schlecht gesichert und in der steilen vereisten Lhotse Flanke bis in den Tod gestürzt. Wir sind im Lager 3, als ich nachts Stimmengewirr der Sherpas von den Zelten nebenan höre; erst denke ich an deren harte Arbeit bereits früh am Morgen. – Zelte aufbauen und Sauerstoffflaschen schleppen. – aber später erfahren wir, dass sie mit einfachsten Mitteln um das Leben Ihres Kameraden gekämpft haben. Den Kampf gegen die Höhenkrankheit haben sie verloren. Per Helikopter wird seine im Schlafsack verpackte Leiche geborgen, nachdem die Kameraden ihn etwa 500m tief über die steile Flanke haben abrutschen lassen. Später am Berg verunglückt noch ein russischer Spitzenbergsteiger, weil er aus Langeweile während des Wartens auf das Wetterfenster sich in den Felswänden des Nuptse mit Freiklettern vergnügen wollte. Absturz etwa 200 m tief, ein Helikopter hat zwei Tage lang die Leichenteile gesucht. Solche Geschichten gibt es leider viele. Bei meinem Aufstieg, bei etwa 7.900m tragen sechs Bergsteiger, nein sie tragen nicht, sie schleppen erst mal sich selbst. Am Seil rutschen und zerren sie eine im Schlafsack verpackte Leiche über Eis und Geröll. Ich stelle mir vor, verletzt in solch einer Plastikrutsche geborgen zu werden, jeder Schlag aufs Geröll, jedes abgleiten mehrere Meter in die Tiefe und dann wieder abruptes Stoppen würde einen Lebenden zum Wahnsinn treiben und wahrscheinlich während der Bergung auch in den Tod. Meine Hochachtung den schwer arbeitenden Kameraden, die selbst in Lebensgefahr schweben und dies auf sich nehmen.
Trotzdem genießen wir unsere Party, denn in unserem Camp feiern alle Beteiligten, dass bislang niemand verletzt wurde und es auch sonst noch zu keinen größeren Zwischenfällen kam. Naja, bis auf die Lawine, bei der ein großer Teil unseres Teams im oberen Teil des Eisbruchs in den Morgenstunden überrascht wurde, und David, der ja nie einen Helm braucht. – nach drei erfolgreichen Everest Besteigungen glaubt man ihm fast – von Stein- und Eisbrocken am Bein verletzt wurde und wie es natürlich kommen musste, er hat schließlich auch ein Loch in dem Helm, den er letztlich doch aufgesetzt hatte.…..
Wir warten bis zum 19.5. und starten dann zum Lager 2, ein Ruhetag und dann geht eswieder in die steile Lhotse Flanke zu Lager 3. Abends kommt ein müder und vor Entkräftung zitternder Sherpa von oben herunter, kurz vor Sonnenuntergang, er hat kein Funkgerät, keine Daunenkleidung und ist dehydriert. Jeder fragt sich, was er da verloren hat. Wir versorgen ihn mit Wasser und geben ihm ein leeres Zelt und einen Schlafsack. Wir sind sicher, dass wir ihm damit die Nacht und das Leben gerettet haben. Am nächsten Morgen geht es weiter auf der für uns zum ersten Male zu begehenden Route. Hinauf aufs gelbe Band, steil mit Fels durchsetzt; Steigeisen rutschen ab, hinfallen, am Fixseil baumeln und das alles mit der Leben spendenden Sauerstoffflasche im Gepäck. Nach dem Gelben Band kommt die Querung unterhalb von Lhotse Camp 4. Wir passieren die Zelte in dem Wissen, dass auch in einem dieser ein Bergsteiger liegt, dessen Helikopterrettung mangels guter Wetterbedingungen abgebrochen werden musste und er die Nacht nicht überlebt. Die Kräfte haben mich schon lange verlassen, nur der Wille ist noch da, der Geist folgt der Route, stundenlang träume ich von einem Burger mit kaltem Bier am Pool unseres Hotels in Katmandu. Immer wieder stolpere ich und denke schon lange ans Aufhören. Und dabei bin ich nicht mal in Camp 4. Am Nachmittag erreichen wir Camp 4 und Wind kommt auf. Alle sprechen von Müllbergen. Sauber ist es hier nicht, die großen Expeditionen zahlen ihren Sherpas viel Geld für das Heruntertragen des Mülls. Es sind vielmehr die Individualisten am Berg, die gezeichnet vom Gipfel oder Gipfelversuch nur noch ihr eigenes Leben retten und dabei Zelt, Kochutensilien und Müll einfach liegen lassen. Für mich heißt es jetzt ruhen und alles anziehen, was ich dabei habe, mehrere Lagen Unterwäsche und Fleece, Schuhe ausziehen, Schuhheizung einlegen, anziehen, Batterien wechseln usw. Das alles mit der Sauerstoffflasche an der Strippe. Stundenlang brauche ich zum Umziehen, die Anstrengung einen Schuh anzuziehen entspricht einem 10 km Lauf, es dauert auch genau so lange, eine knappe Stunde.
Auch wenn mich schon vor dem Gipfeltag die Kräfte verlassen, so fühle ich mich absolut sicher. Eingebettet in ein professionelles Team bestehend aus erfahrenen Bergführern und Sherpas mit mehr als 50 Everestbesteigungen. Sidar Phurba Tashi war bereits 19x am Gipfel. Sie helfen, wo sie können und alleine die Begleitung unseres Team, bestehend aus acht Bergsteigern und drei Bergführern, ist beruhigend. Auch die Erfahrung, schon einmal eine Besteigung mit Sauerstoff gemacht zu haben, ist mir sehr hilfreich.
Wir erreichen den Südgipfel, wieder das gleiche Spiel, Sauerstoff weg und neue Flasche, aufatmen und weiter stolpern. Die Sonne kommt und ich stehe unterm Hillary Step. Jetzt, genau jetzt, weiß ich zum ersten Mal: Ich kann und werde es schaffen, mit Euphorie und dem letzten Adrenalin geht’s durch den stärker aufkommenden Wind Richtung Gipfel. Die Temperaturen fallen auf etwa -40°, die Trinkflasche im Daunenanzug gefriert und die Akkus der Photos versagen. Trotzdem werden ein paar Gipfelfotos gelingen. Die Aussicht ist zwar atemberaubend aber das ist die Höhe auch.
Oben – geschafft, der höchste Berg der Welt liegt unter mir. Viele Jahre träumen, planen und Vorbereitungen haben ein Ende, einen Höhepunkt und einen Abschluss. Aus vorbei und abgehakt.
Es ist so scheißkalt (sorry, kälter als kalt), dass ich nur noch runter will.
Schnell weg hier, ist der einzige Gedanke den alle Rückkehrer noch haben. Für drei bis vier Tage Trekking aus dem inzwischen frühlingshaft gewordenen Khumbu Tal heraus habe ich keine Kraft mehr in den Beinen und auch keine Nerven mehr. Wir beschließen einen Helikopter nach Kathmandu zu chartern, der jedoch wegen schlechter Sicht nicht kommt. Ich habe das Warten satt, nach zwei Monaten in Fels und Eis will ich endlich meinen Burger. Mein Flug nach Hause ist bereits umgebucht, nur der Heli fehlt noch. In buchstäblich letzter Minute taucht dieser im Nebel endlich auf und wir nehmen mit zwei Unterbrechungen und Zwischenlandungen wegen Wetterkapriolen unseren Weg nach Hause auf. In Kathmandu habe ich nur wenige Stunden, um Geschenke kaufen, Gepäck aufzuteilen und zu verstauen – schon muß ich wieder zum Flughafen. Es bleibt nicht mal Zeit für den Burger. Schnell nach Frankfurt – meine Familie erwartet mich. Tränenüberströmt wanken wir alle zusammen zum Auto und die letzten km nach Hause schaffen wir auch noch gut.
Der Beweis vom Gipfeltag, aufgezeichnet mit einer Forerunner 210:
(Tipp: Unter “Karte” auf “Satellit” umstellen)
Ein ganz großes Danke an meine Familie, dass ich das erleben durfte! Bei den letzten Aufstiegen zum Dach der Welt habe ich mir geschworen: Nie wieder!
Mai 2013, als 61. Deutscher am Gipfel des Mount Everest über die Südroute von Nepal aus.