Staffellauf auf Jakobswegen nach Cognac

DSCN9919(von Frank Hülsemann) Pilgern auf Jakobswegen liegt im Trend. Nicht erst seitdem Prominente medienträchtig das Wandern auf Jakobswegen entdeckt haben, zieht es jedes Jahr Tausende in die Ferne. In Europa gibt es ein weitverzweigtes Netz von Jakobswegen, die alle das weltbekannte Santiago de Compostella als Ziel haben. Nicht jeder hat die Zeit oder den Willen in gemächlichem Wanderschritt wochen- oder sogar monatelang durch Europa zu wandern. Dennoch eröffnen die teilweise sehr gut ausgeschilderten Wanderwege schöne Touren durch malerische europäische Landschaften. Jakobswege führen durch die ‚Provinz’, größtenteils durch dünn besiedelte Landstriche und die Routen berühren Orte mit historischer und kultureller Bedeutung. Doch kann diese Faszination nicht nur mit Gemächlichkeit, sondern auch in einem Tempo erfahren werden?

Diesen Test machten wir im vergangenen Sommer auf einem Staffellauf vom Rhein quer durch Frankreich bis nach Cognac nahe der französischen Atlantikküste. Die Jakobswege waren am Anfang mehr Mittel zum Zweck, da wir so auf ausgeschilderte Fernwanderwege zurückgreifen konnten, für die GPS-Daten einfach online verfügbar waren. Doch im Verlauf dieses mehrtägigen Staffellaufes wurde uns bewusst auf einer besonderen Route unterwegs zu sein, die mehr war als nur eine Aneinanderreihung von GPS-Wegpunkten…

Läufer auf seiner Etappe in der EifelDoch zurück zum Anfang: geboren wurde die Idee zu einem Staffellauf irgendwann im tristen rheinländischen Winterwetter, wo ein ausgeprägter Wunsch nach Lauferlebnissen in sommerlicher Hitze vorhanden war. Ein Staffellauf sollte es sein, eine Gruppe von Läufern, die sich abwechselnd Tag und Nacht entlang von Jakobswegen von Königswinter am Rhein zur Partnerstadt Cognac aufmacht. Jeder Läufer sollte alleine unterwegs sein – auf Etappen zwischen 5 und 20 Kilometern über Landstraßen, Feldwegen oder auch querfeldein. Nur an den Wechselpunkten sollten die einzelnen Läufer wieder auf ihr Team treffen, dort begibt sich dann der Nächste wiederum alleine auf seine Etappe.

Was sich theoretisch sehr einfach anhört, stellt sich in der Praxis als etwas komplizierter heraus. Dass wir den Weg in der uns mehr oder weniger bekannten Eifel noch gut finden, sollte klar sein. Doch wie sieht es aus in der französischen Provinz? Da wir von keinem Begleitfahrzeug begleitet werden sollten, mussten wir in der Lage sein, unseren Weg auch so zu finden. Die Lösung lag in einer vorgegeben Route per GPS, wir benutzten zum Orientieren das Garmin eTrex Vista HCx. Das Herunterladen von GPS-Daten und Erstellen von Etappen konnte relativ leicht in einigen Nächten im Vorfeld des Staffellaufes erledigt werden. Die Umsetzung beim Staffellauf und das Finden der Route im Gelände musste vor Ort und ‚im Laufschritt’ erarbeitet werden.

Das Warten auf den LäuferFür einige der Läufer war dies das erste Mal sich von einem GPS leiten zu lassen, auch wenn der Weg ja grundsätzlich durch die bekannten Jakobsmuscheln gekennzeichnet sein sollte. Doch es liegt ein Unterschied darin, seine üblichen bekannten Trainingsrunden zu absolvieren oder seinen Weg in einer unbekannten Umgebung mit Hilfe eines GPS zu finden, während die Laufkollegen darauf warten, dass man endlich ankommt…

Doch im Juli 2013 war es dann so weit: Zwölf Läufer zwischen 15 und 65 Jahren standen eines Morgens in Königswinter am Rhein – bereit um auf eine 1250 Kilometer lange Strecke gen Westen zu gehen. Das Ziel, Cognac, sollte in 5 Tagen erreicht werden. Dies macht 250 Kilometer am Tag für das ganze Team und für jeden der Läufer ungefähr 100 Kilometer in 5 Tagen. Die Wettervorhersage war gut: Sonne und Temperaturen bis 35 Grad Celsius. Doch es sollte einiges anders kommen als geplant…

Es ist nicht sonderlich belebt wochentags um neun Uhr morgens in Königswinter. Die Straßenreinigung leert die Mülleimer, ein paar Passanten sind unterwegs. Nervös trippeln ein Dutzend Läufer auf dem Kopfsteinpflaster umher – in freudiger Erwartung eines besonderen Lauferlebnisses. Gewartet wird auf den Bürgermeister, der uns mit guten Wünschen an die Partnerstadt Cognac auf den Weg schicken will. Kurz nach neun geht es endlich los und der zweitjüngste Läufer darf die erste Etappe Richtung Westen in Angriff nehmen. Sechs Stunden und gut 60 Kilometer liegen insgesamt vor dem ersten Team, bestehend aus vier Läufern. Die restlichen Läufer fahren voraus und starten den Staffellauf erst einmal mit einem Besuch eines Badesees – gilt es doch Kräfte zu sammeln für den Abend und die Nacht.

UnterwegsDass nicht alle Läufer den Anweisungen der Orga „Route und GPS“ mit voller Konzentration vor dem Start gefolgt sind, zeigt sich nach dem ersten Teamwechsel am Nachmittag. Es ist schon richtig, dass Wanderwegen grundsätzlich in zwei Richtungen gefolgt werden kann. Es kann auch sein, dass man im Eifer des Gefechtes die Richtungsanweisungen des GPS nicht unbedingt auf Anhieb versteht. Nur leider führt es zu einigen Komplikationen, wenn man die Route erstmal wieder über einige Kilometer zurück läuft, bis man merkt, dass „Richtung Köln/Bonn“ so ziemlich das Gegenteil von „Richtung Cognac/Santiago de Compostela“ ist. Doch solche Fehler lassen sich leicht ausbügeln, in dem man einfach die ja jetzt schon bekannte Wegstrecke wieder zurück läuft. Einzige Begleiterscheinung ist, dass man einige Kilometer mehr laufen muss als geplant, da das Begleitfahrzeug ja schon zum nächsten Treffpunkt voraus gefahren ist. Aber zur Ehrenrettung (aller) Läufer muss man sagen, dass die folgenden Tage peinlich genau darauf geachtet wurde, in die richtige Richtung loszulaufen.

Trotz dieser und weiterer kleiner Orientierungsschwierigkeiten kommen aber alle Läufer gut auf ihren Routen zurecht und man pendelt sich bei einem Schnitt von ungefähr 10 Kilometern pro Stunde ein. Die eigentliche Laufgeschwindigkeit ist zwar höher, aber kleinere Umwege und das Orientieren brauchen auch Zeit. Während die Läufer schon am ersten Tag ordentlich schwitzen, macht sich bei den anderen Teammitgliedern währenddessen Urlaubsstimmung breit – beim Aufenthalt am Badesee.

Der Weg nach Santiago de CompostelaNachdem sich der ganze Staffellauf tagsüber ganz gut eingespielt hat, tritt bei den Nachtetappen doch das eine oder andere Problem auf. Das Laufen in der Nacht fordert uns um einiges mehr. Es kristallisieren sich auch unterschiedliche Läufertypen heraus: Während die einen zwischen zwei und vier Uhr Nachts am liebsten 20 Kilometer im Dunkeln geradeaus auf Nebenstrassen unterwegs sind, legen andere den Ehrgeiz an den Tag den Jakobs(wander)weg auch im tiefsten Dickicht im dunkelsten französischen Wald zu finden. Eigentlich ist es schon schwierig genug im Dunkeln im Laufschritt per GPS einen Wanderweg zu finden, doch mancher Läufer weiß den Schwierigkeitsgrad noch zu erhöhen: Laufen in den dunklen Wald ohne GPS! Dafür aber mit dem eigenen Navigationsgerät aus dem Auto. Leider wurde auf das Navi die Route nicht geladen, was zu leichter Verwirrung im Unterholz führte. Als dann die Stirnlampe auch noch ausfiel, konnte das Navi aber einen Vorteil ausspielen und war somit Retter in der Not: man kann nämlich damit seinen (Rück)weg ausleuchten…

Jede Möglichkeit zur Abkühlung wird genutztViele Läufer konnten nach ihrer Etappe von wundersamen Erlebnissen berichten: plötzlich auftauchende Steinbrüche im Dunkeln, einbrechende Brücken, Hecken, die erst vor kurzem gewachsen sein müssen, verwirrende Sonnenstände (seit wann steht die Sonne morgens im Osten?), Wolfsgeheul (oder waren es doch Hunde?), Abkühlung suchen, wo es nur geht und vieles mehr. Doch eins einte alle Läufer: nach einer Etappe und wenn die erste Erschöpfung verflogen war, bekamen sie das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. So wie wir Kilometer sammelten und die Abläufe immer perfekter funktionierten, so stieg auch die Euphorie bei den Teilnehmern. Auch wenn manch Einer uns Teamkollegen zeitweise zur Weißglut trieb: so wie der Läufer, der bei jeder Kirche am Jakobsweg halten wollte und den Pfarrer gesucht hat um einen Stempel in seinen Pilgerausweis zu erhalten (bei seiner Krankenkasse gibt es einen Bonus wenn man x Stempel zusammen hat).

Einlauf in Cognac zusammen mit französischen SportlernFünf Tage waren wir unterwegs, über 1250 Kilometer sind wir gelaufen, geschlafen wurde dort, wo man sich hinlegen konnte. Tagsüber wurde geschwitzt bei bis zu 35 Grad im Schatten, und schließlich näherten wir uns Cognac. Auf den letzten Kilometern begleitet durch Sportler aus der Partnerstadt liefen wir zum Zielpunkt, dem Rathaus in Cognac und wurden durch den Bürgermeister empfangen. Es gab Reden und Geschenke (und Cognac mittags um 12) und mancher Läufer hatte einen schweren Kloß im Hals, da er jetzt vorbei war, der Staffellauf von Königswinter nach Cognac…

Aber schnell war klar: es gibt eine gute Nachricht. Es sind noch 1250 Kilometer von Cognac nach Santiago de Compostela. Termin: Sommer 2014.

Der Autor Frank HülsemannÜber den Autor Frank Hülsemann:

Promovierter Chemiker, tätig an der Deutschen Sporthochschule Köln. Ehemaliger Mittel- und Langstreckenläufer, Touren mit Expeditionscharakter seit 1996. Unterwegs zur Fuß und mit dem Rad in Europa, Asien und Amerika. Durchquerung der Wüste Atacama (Chile) und Gobi (Mongolei) zu Fuß, Organisation und Durchführung von Staffelläufen mit kulturellem und historischen Hintergrund in Europa und Südamerika.

 Kontakt und Informationen zu weiteren Touren: www.exyle.de

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