So fing alles an: Am Freitag, den 17. Juni 1966, fand die Premiere der Vätternrundan statt: Eine Volksradtour für Radfahrer mit einer Länge von 300 km in einer Etappe rund um den schönen Vättersee. Bereits da passierten 334 begeisterte Radfahrer das Ziel in Motala.
Gründe für so was Verrücktes aus meiner Sicht: Wie kommt man dazu sich zu so einem Event anzumelden? Ganz einfach, man sucht immer nach Neuem und in diesem Fall war es sicher der Reiz, einmal an die Grenzen des Möglichen zu kommen und auszutesten. Also machte ich mich auf die Suche nach einem Event und wurde im Internet dann auch schnell fündig. Problem war: wie komme ich dorthin mit dem Rad? Weiter recherchiert und da bin ich beim Radclub in Stade bei Hamburg gelandet die jetzt zum 4. Mal diese Möglichkeit anbietet mit dem Bus mitzufahren. Nicht lange überlegt und angemeldet. Zufällig war auch ein Teilnehmer aus Wolfegg am Start, keine 10 km von mir aus entfernt. So nahm ich Kontakt zu Sepp auf und im Grunde genommen kannten wir uns auch schon vom Fußball her. Wir haben dann ausgemacht, dass wir zusammen trainieren werden und auch mit einem PKW gen Stade fahren wollen, um Kosten zu sparen. Das haben wir dann auch so gemacht. Mit dem Training hat es jedoch nicht so gut geklappt weil Sepp noch recht kleine Kids hat und er am liebsten früh morgens fährt, während ich ja beim Olympiasieger Uwe Peschel Radtraining mache und dort auch 2-3 Mal die Woche unterwegs bin. So fuhren wir nur einmal zusammen und Sepp zeigte mir ziemlich schnell die Grenzen auf. Komisch, der Sepp ist noch etwas älter und raucht für sein Leben gerne. Bei der Ausfahrt in der Pause, Zigarette raus und Dampf abgelassen und am Ende hat er mich in Grund und Boden gefahren. Das lag natürlich am Training von Peschel, wir sind bis Mai im GA1-Bereich gefahren und das ist halt für eine schnelle Runde einfach zu wenig. Das muss bis Juni noch deutlich gesteigert werden.
Dann kam der Juni: kurze Besprechung mit Sepp wegen dem Fahren und der restlichen Organisation. Für den Transport der Räder auf dem Anhänger habe ich extra im Baumarkt Decken gekauft, die ich dann selbst mit der Nähmaschine zusammen genäht habe und eine Öffnung mit Klettverschlüssen offen gelassen hatte. Es kam der Donnerstag, 16. Juni 2011. Sepp hat mich um 6 Uhr hier in Wurzach abgeholt und wir sind locker nach Stade gefahren. Um ca. 14 Uhr waren wir dann in Stade, suchten den Abfahrtsort und dann noch die Jugendherberge, wo wir dann vom Sonntag auf Montag noch übernachten wollten.
Der Tag des Vätternrundan
Endlich der Morgen, aufstehen um 2 Uhr, Abfahrt mit dem Bus um 3 Uhr, Start um 4 Uhr 26 Min. Wir fuhren mit dem Bus von der Jugendherberge weg, genau auf die Straße wo uns die Vätternrundan-Radler entgegen kamen. Es sah schon super aus. Die Startblöcke werden innerhalb von 2 Minuten mit jeweils so ca. 100 Radlern auf die Strecke geschickt. Zu dieser Zeit müssen wir Radler noch mit Licht fahren. Spätestens jetzt ist das Rennfieber erwacht und der Puls schlägt schneller. In Motala angekommen wurden die Räder vom Hänger genommen, die Pedale angeschraubt und man fuhr zum Start. Dort noch einmal Luft gecheckt und auf den Start gewartet. Es gibt dort 3 Startrampen, alles voll professionell gemacht. Dann endlich der Start, das erste Signal vom Chip wurde deutlich hörbar auf die Matte und die Technik übertragen. Raus auf die Strecke und mal abtasten, wie die Leute im Block so fahren. Im Bus auf der Hinfahrt hatte ich schon Befürchtungen wegen den Steigungen, die ich vom Bus aus sah, aber schon zügig haben wir dann den ersten Rastpunkt in Hästholmen nach 44 km erreicht. Die Durchschnittsgeschwindigkeit war noch über 30 km/h. Zum Glück hat die Technik voll funktioniert, die Schaltung und alles funktionierte wunderbar und auch der Tacho. Weiter über Gränna – da regte ich mich auf wegen dem Müll, den die Teilnehmer einfach so weg warfen, obwohl Mülleimer zu Massen bereitstanden. Muss das sein?
Dann ging es leicht bergab Richtung Jönköping zum nächsten Stopp bei km 107. Dort gab es den berüchtigten Porree mit Hackfleischbällchen und zum ersten Mal Blaubeersuppe. Schmeckt im Endeffekt wie flüssige Marmelade, aber gibt Kraft ohne Ende. Das haben Sepp und ich richtig gespürt. Nach den Kalorien darf man da nicht fragen, die braucht man halt ganz einfach. Trinken und Essen, keine Station auslassen. Ein Teilnehmer wurde bereits mit dem Krankenwagen abgeholt, wohl eine Schwäche und das schon bei km 107.
Bei km 138 erreichen wir Fagerhult mit erneuter Verpflegungsstation. Jetzt bin ich schon weiter gefahren als die längste Strecke in diesem Jahr überhaupt, aber ich bin noch nicht mal bei der Hälfte der Strecke angelangt und ich spüre die zurückgelegten km schon in den Beinen. Ob ich das packe? Bei Sepp ist keine Spur von Müdigkeit zu spüren, ein harter Hund. Fehlt nur noch, dass er jetzt eine Zigarette auspackt. Würde er bestimmt machen, hat aber keine dabei. Natürlich lasse ich mir nicht viel anmerken, dass es etwas zäher geht am Berg und ich packe das auch. Bin immer bemüht eine Trittfrequenz von 80 bis 90 zu halten. Früher bin ich immer fette Gänge gefahren die so richtig in die Beine gehen, jetzt fahre ich deutlich anders. Hab ja schließlich beim Training von Uwe Peschel aufgepasst, umsonst war der ja auch nicht Olympiasieger geworden!
Dann kommen wir bei km 230 in Boviken an. Ein schöner Blick über den See und wieder mal eine gute Verpflegungsstation. Uns fällt immer wieder auf, dass meist auch Radler dort sind, die wir schon irgendwo gesehen haben. Die Geschwindigkeit pendelt sich irgendwo ein und man trifft sich immer wieder mal. Bei der Ortsdurchfahrt hindert uns ein Auto mit Wohnwagen an unserer zügigen Fahrweise. Ich sehe den Griff am Wohnwagen hinten links, halte mich fest und hoffe, dass der Fahrer endlich mal Gas gibt und mich eine Weile mitzieht. Der Fahrer merkt das und grinst und ich grinse zurück. Ich erinnere mich an die Zeiten als Kind, wenn man sich immer an den Ladewagen oder Anhänger gehängt hat. In einem Waldstück, das recht übersichtlich ist, hat sich ein Unfall ereignet. Ein Radler liegt abgedeckt mitten auf der Straße und der ganze Verkehr muss halten. Der Hubschrauber ist bereits im Anflug – zum Glück können die Radler noch durch. Wir sprechen kurz darüber, finden aber keine plausible Antwort für den Liegenden. Unseres Erachtens ist oder war kein Auto beteiligt, Schwäche? Mein Knie schmerzt inzwischen sehr und jetzt wird auch nichts mehr helfen, um Abhilfe zu schaffen. Ich habe eine Abneigung gegen lange Strecken, wo man ewig voraus sieht und wenn das Ziel dann noch oben und nicht unten liegt. Man könnte meinen, man wäre auf einem Highway in den USA.
Jetzt haben wir in Hammersundmet die Nordspitze erreicht und sind bei km 260 angelangt. Ich merke, wie sich jetzt so langsam der Akku drastisch leert, die Beine werden schwer. Sonst ist meine Verfassung noch sehr gut. Verpflegung aufgenommen und es geht jetzt ein schönes Stück bergab. Plötzlich merke ich, wie bei Sepp der Schaltzug gebrochen ist. Das hintere Schaltwerk kann nicht mehr bedient werden. Scheibenkleister, Sepp muss jetzt auf dem kleinsten Ritzel hinten fahren. Vorne kann er auf dem kleinen Blatt fahren, was nicht sehr Kette schonend ist, aber was bleibt übrig! Fahrer und Material werden nicht geschont. Jetzt kommen ein paar längere Steigungen, die ganz schön in die Beine gehen und Sepp fährt wie von einer Tarantel gestochen mit den Schnellsten mit, ich bleibe zurück und versuche mein gewohntes Tempo weiterzufahren. Er wird wohl den nächsten Servicepoint aufsuchen und den Zug austauschen lassen, dann habe ich Zeit. Ich muss mich jetzt richtig zusammen reißen, aber jetzt aufgeben, nur über meine Leiche! Ich treffe Sepp wieder und das Rad ist in Reparatur. Wir verköstigen uns, während die Männer daran schrauben. Das sieht irgendwie nicht so richtig professionell aus finde ich, und ich genieße die Erholungszeit. Es setzt sich ein Mann zu mir, der auch nicht gerade taufrisch aussieht. Wir kommen ins Gespräch, er ist Schwede und versteht kein Deutsch und ich natürlich kein Schwedisch. Wir probieren es in Englisch und das klappt auch. Er sagt „I must be crazy, I do this event the 41st time“ (was so viel heißt, dass er verrückt wäre und diese Tour bereits zum 41. Mal jetzt fahre). Ich lobe Ihn, klopfe ihm auf die Schulter und verabschiede mich. Übrigens, der Mann war 73 Jahre alt und ich habe wirklich Hochachtung ob der Leistung.
Da kommt mir der Einfall, ich könnte ja ganz langsam zu radeln und Sepp kann dann nachkommen, wenn seine Karre wieder intakt ist und so machen wir es auch. Ich finde zwei Mädels, die genau die richtige Geschwindigkeit machen, und wir wechseln uns bei der Führungsarbeit etwas ab.
Ein großartiges, geiles Gefühl, ich/wir haben es geschafft, die 300 km und das in knapp 11 Stunden reiner Fahrtzeit.
Am Morgen nach dem Frühstück, Koffer packen und zurück zum Bus und einladen. Die Rückfahrt um 9 Uhr morgens war dann richtig gut. Bei den Fähren gab es keine Wartezeiten und so kamen wir dann abends um ca. 20:30 Uhr wieder in Stade an. Nach dem Verstauen der Räder im Sharan und des Gepäcks stellten wir das Auto im Hof der Jugendherberge ab und machten uns auf die Suche nach einem Lokal zum Essen, was sich als ziemlich schwierig heraus stellte. In der Hansestadt Stade konnte man meinen, dass die Bordsteine um diese Zeit schon hochgeklappt waren. Im Pannekokenhus (Pfannkuchenhaus) hat man sich dann noch erbarmt und uns noch Fisch serviert, obwohl die Küche schon zu hatte und geputzt war. Das war dann eine nette Geste der jungen Bedienung. Nach dem Frühstück machten wir uns auf die Reise zurück in den wilden Süden. Sepp ist wunderbar gefahren, vielen Dank. Die Harmonie hat absolut gestimmt und ich bin überzeugt, dass wir bald wieder eine verrückte Tour zusammen machen werden. Die Garmin-Connect Daten zu meiner Vätterrundan-Tour findet ihr unter http://connect.garmin.com/activity/94858221.
Hut ab Herr Reile,
bei den Bericht kann Frau sich schon fast vorstellen auch mal bei den Fischköppen aus Stade anzufragen, ob sie nicht auch 2014 mein “blaues Wunder” (mein Rad) nach Schweden verladen wollen…
Aber die Vorstellung 10 Stunden aufm Rad? Ich glaube da ist die mentale Herausforderung fast größer als die sportliche Leistung.
Ab KM 150 kann man doch sowieso nicht mehr, oder?
Wie kann man sich sooo lange motivieren?
Auf alle Fälle ein ganz toller Erlebnisbericht!
Ich hoffe es war nicht der letzte Blog. Weiter so!
let´s roll..
Grüße
Vanessa